Berliner Centralstrassen Actien-Gesellschaft

 

 

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Otto Glagau

Der Börsen und Gründungsschwindel in Berlin

 

ab Seite 143 / 144

Am 8. März 1870 erhob sich im Norddeutschen Reichstag der edle Graf Renard und fragt, die Regierung: Wie steht´s? (Nämlich mit dem Freigeben der Actiengesellschaften.) Ihm antwortet Herr Delbrück, der Vice-Bismarck, indem er bedächtig sich eine Prise zu Gemüth führte: Wir sind dabei! – Die Gründer wurden mit dem Actiengesetz überrascht, wie bei der Weihnachtsbescheerung die Kinder, welche ihren Eltern einen Wunschzettel eingereicht haben.

 

Zu den Geistern, welche die Zeit sofort begriffen und sie gründlich, oder eigentlich „gründerlich“ auszubeuten verstanden, gehört in erster Reihe – Hermann Geber. Er steht ebenbürtig neben Heinrich Quistorp und J. A. W. Carstenn; und etwas hinter ihm steht – Herr Paul Munk.

 

Hermann Geber, ein schwarzlockiger Versicherungskünstler, verwandelte sich kurz vor der Wiedergeburt des Deutschen Reichs in den farbenschillernden Falter eines Grossindustriellen und General-Speculanten. Er ist ebenso reich an „Ideen“ wie Quistorp, nur ist er darin weit glücklicher. Während Quistorp heute, gezwungener Maßen, auf seinen Lorbeeren ruht, beglückt Geber noch immer das dankbare Berlin mit seinen Schöpfungen.

 

Hermann Geber begann damit, dass er die verlassene Kaserne des Kaiser-Franz-Regiments in der Kommandantenstrasse (siehe Plan von 1840 # 2 - Link)  ankaufte, von einem gewissen – Fiscus. Fiscus ist ein alter wunderlicher Herr, der es z. B. liebt, möglichst billig zu verkaufen und möglichst theuer einzukaufen. Er verkauft oft, was er selber höchst nöthig braucht, und was er dann hinterher zehnmal theurer wieder anschaffen muss. Er hat verschiedene kostbare Grundstück in Berlin den Gründern überlassen, wofür er sich heute in grosser Verlegenheit befindet. So findet er in der Stadt selber keinen Platz mehr für das neue Criminal-Gerichtsgebäude, und muss es – sehr bequem für das Publikum – draussen nach Moabit verlegen.

 

Also Geber kaufte von Fiscus, mit dem er öfter Geschäfte macht, die alte Franz-Kaserne, die inzwischen das Ansehen einer Räuberhöhle angenommen hatte, und schuf daraus das sogenannte „Industriegebäude“, welches an dreissig Läden und zahlreiche Comtoirs und andere Geschäftslocalitäten enthält. Dazu erstand er noch, zum Theil in Verbindung mit Herrn Eduard Stahlschmidt, eine Anzahl benachbarter Grundstücke, legte sie nieder und erbaute die heutige Beuth-Strasse, die in der Hauptsache gleichfalls aus lauter Läden und allerhand Geschäftsräumen besteht.Im Februar 1870 schloss Hermann Geber mit Banquier Ferdinanf Jaques (später im AR), Commerzienrath Hermann Egells, Geh. Commerzienrath Moritz Plauth, Banquier Herrmann Rauff (später im AR)und Justizrath Dr. Franz Hinschius …eine „Societät“, die „sobald als möglich in eine Actiengesellschaft umgewandelt“ werden sollte. Nachdem das Actiengesetz Hals über Kopf fabricirt war, entstand noch während des Krieges, im September 1870, die Berliner Central-Strassen-Actien-Gesellschaft, welche jene Grundstücke erworben hatte. Herr Geber profitierte als Verkäufer eine Summe, die er, in übergrosser Bescheidenheit, gelegentlich mit ca. 250,000 Thaler bezeichnen liess; und ward selbstverständlich „Director“ der Gesellschaft und liess sich auch noch zwei „Specialdirektoren“ … unterstellen.

 

Das Aktienkapital, ursprünglich 1,200,000 Taler, ward fortwährend erhöht und schließlich auf vier Millionen(!) gebracht. 1872, am 30. April, bekanntlich dem Narrentage, „kreierte“ man gleichzeitig ½ Million „junger“ Aktien („erste Emission“) und 1½ Million „neuer“ Aktien („zweite Emission“). Zwischen der Dorotheen-, Friedrichs-, und Georgenstraße ward ein „zweites Industriegebäude“ in Aussicht genommen, und zu diesem Zwecke eine Reihe von Grundstücken, darunter wieder fünf vom Direktor Geber(!), zu mehr als hohen Preisen angekauft. Ohne diese Nachgründung hätten die Aktionäre vielleicht nur die Hälfte verloren, während sie jetzt etwa zwei Drittel eingebüßt haben. Die Aktien, im April 1872 etwa 125, stehen heute circa 35, wiewohl die der „zweiten Emission“ noch bis zum 1. Juli 1876 fünf Prozent „Bauzinsen“, also aus dem eigenen Säckel, erhalten.

 

Der Häuserkomplex II. blieb bestehen wie er war, denn inzwischen ging der Gründungsschwindel zu Ende, und damit ging auch die Baulust aus. Die Grundstücke sind „bestens“ vermietet, rentieren sich indes selbstverständlich nicht. Ganz kürzlich aber hatte Herr Geber eine neue geniale Idee. Er etablierte zwischen diesen Häusern den – Stadtpark, und pflanzte, statt der Bäume und Sträucher, hier 72,000 (!!) Gasflammen an. Wir kommen auf dieses Meerwunder, das die Presse mit einstimmigem Hosianna! begrüßte, noch zurück. Wir verlassen einstweilen Herrn Geber und wenden uns zu Herrn Munk.