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Stadtpläne und Bilder
Der "Dächerkrieg" in der Zehlendorfer Siedlung Am Fischtal
Vor fast hundert Jahren tobte in Berlin ein Krieg um die richtige Dachform. Zwar wurde der „Zehlendorfer Dächerkrieg“ nicht mit Waffen geführt, sondern lediglich mit Häusern und Worten, aber die Kontrahenten standen sich Mitte der 1920er Jahre unversöhnlich gegenüber. Die Frontlinie verlief entlang der beschaulichen Straße „Am Fischtal“ im großbürgerlich geprägten Berliner Stadtteil Zehlendorf. Auf der einen Straßenseite bauten die Modernen – Architekten wie Bruno Taut und Hugo Häring – Häuser mit flachen Dächern. Auf der anderen Seite kamen die Konservativen zum Zug, darunter Heinrich Tessenow, Paul Schmitthenner, aber auch Hans Poelzig. Sie errichteten Ein- und Mehrfamilienhäuser mit spitz zulaufenden Satteldächern.
So friedlich, wie sich die Häuser heute an der schmalen, von Birken gesäumten Straße gegenüberstehen, erscheint es absurd, wie bitter Planer und Öffentlichkeit um ihre Gestaltung einst stritten. Doch vor hundert Jahren war das Dach mehr als nur der Abschluss eines Hauses und Schutz vor Wind und Wetter – es war Ausdruck baukünstlerischer und politischer Überzeugung. Wer flach baute, glaubte sich auf der Seite des Fortschritts und der Modernität. Die Konservativen dagegen wetterten gegen das flache Dach als Ausdruck eines „südländischen“ Baustils.
Leicht sarkastisch bemerkte Karl Scheffler: „Wenn heute ein Architekt ein spitzes, breit bergendes Dach baut, so gilt das als Wahrzeichen deutschnationaler Gesinnung. Wenn er das Dach abflacht, so entsteht etwas wie ein demokratisches Haus; macht er das Dach ganz platt, so bekundet er damit eine radikal kommunistische Gesinnung. Das Dach wird so zum Ausdruck politischer Gesinnung.“
Jasmin Jouhar, FAZ 14.01.2021
Celina Kress, Seite 157