Johann Anton Wilhelm Carstenn-Lichterfelde

- Berlin-Charlottenburger Bauverein Actien-Gesellschaft

Lichterfelder Bau-Verein Actien-Gesellschaft

 

Johann Anton Wilhelm Carstenn                   

 

wurde am 12.12.1822 in Neverstaven (Holstein) als Sohn eines vermögenden Gutspächters geboren,

er ist gesorben am 19. (20.)12.1896 in Berlin und beerdigt auf dem Paulus-Friedhof in Berlin-Lichterfelde, Hindenburgdamm 101 (Dorfaue an der alten Dorfkirche)

 

1854 erwirbt Carstenn den gräflichen Anteil des Adligen Gutes Wandsbek und baut die Villenkolonie Marienthal.

 

1855 erwirbt er den vom Adligen Gut Tralu abgetrennten Meierhof Neverstaven, seinen Geburtsort, verkauft ihn aber bereits nach einem Jahr wieder.

 

Statt sich aus den Erträgen aus seinen frühen Immobilienengagements zur Ruhe zu setzen erwirbt  Carstenn 1865 mit den Gewinnen aus Wandsbek (sein Vermögen soll inzwischen etwa 2,5 Mio. Mark betragen haben) die Güter Lichterfelde und Giesensdorf und das Rittergut Deutsch-Wilmersdorf mit Friedenau. Alsdann gründet  Carstenn Aktien-Gesellschaften, um die Gebiete zu entwickeln und Villenkolonien zu errichten – in den „gesunden“ Vorstädten Berlins.

 

Eine der wichtigsten Bedingungen zur damaligen Zeit waren die Verkehrsanbindungen mit der Bahn und der Straßenbahn. Wie sonst hätten die Berliner die „weiten“ Entfernungen zurücklegen sollen? Carsten war einer der ersten Developper (neudeutsch für Projektentwickler) Berlins.

 

Carstenn lässt aus eine Hamburger Baumschule für 126.000 Mark Bäume liefern, um seine geplanten Alleen zu begrünen. Er verhandelte mit den Bahngesellschaften und bot ihnen Garantiesummen, um seine Gebiete mit den Bahnhöfen Lichterfelde-West und Lichterfelde-Ost zu erschließen. Die Bahnhöfe ließ er selbst errichten; die Station Lichterfelde-West erinnert an eine italienische Villa. Carstenn ließ seine Grundstücke parzellieren und sorgte für die Infrastruktur

 

Am 01.09.1873 wurde er geadelt und konnte seinen ursprünglichen Namen Carstenn um „Lichterfelde“ ergänzen in Carstenn-Lichterfelde.

 

Im Zuge des „Gründerkrachs“ 1873 musste Carstenn Konkurs anmelden

 

Später verarmt Carstenn-Lichterfelde, erhielt jedoch vom Kaiser wegen seiner Verdienste einen Ehrensold als Lebensunterhalt bis zu seinem Tode. Beerdigt ist Carstenn-Lichterfelde auf dem Friedhof an der alten Dorfkirche Lichterfelde.

 

Sein ehemaliges Gutshaus am Schlosspark Lichterfelde wird heute Carstenn Schlösschen genannt.

 

 

Berlin-Charlottenburger Bauverein Actien-Gesellschaft

 

1870 entwickelte Carstenn erste Pläne, den alten kurfürstlichen Reitweg zum Schloss Glienicke zu einem Boulevard auszubauen – nach dem Vorbild der Champs-Elysées. Bismarck trieb die Pläne voran und erweiterte den geplanten Straßenquerschnitt von 30 auf 54 Meter. Entstehen sollte ein Gegenbild zu der steinernen Innenstadt Berlins mit repräsentativen Bürgerhäusern, baumbestandenen Straßen und begrünten Schmuckplätzen ... der Kurfürstendamm. Carstenn war auch an der Gründung der Villen- und Mietshaussiedlung Halensee am westlichen Ende des Kurfürstendamms beteiligt. Die Berlin-Charlottenburger Bauverein Actien-Gesellschaft (als AR unterschrieb JAW Carstenn) erwarb das Gelände (rund 148 ha) zwischen der heutigen Leibnitzstraße und dem Grunewald, um hier eine Villenkolonie zu errichten. Diese wurde allerdings erst viel später, in den 80er Jahren, von dem Baumschulbesitzer David Born realisiert. Allerdings behielt die Berlin-Charlottenburger Bauverein Actien-Gesellschaft den Westteil des heutigen Friedenau. Carstenn verfolgte hier die Realisierung seiner Pläne.

 

Ab 1874 entstanden die ersten Straßen und Plätze um die Kaiserstraße, später Kaiserallee, heute Bundesallee (benannt nach dem bis 1950 errichteten Bundeshaus am westlichen Ende der Straße) als Verbindung zwischen Wilmersdorf und Friedenau. Es entstand die sogenannten Carstenn-Figur. 

 

Lichterfelder Bau-Verein Actien-Gesellschaft

  

Am 24.11.1865 kaufte Carstenn die Rittergüter Lichterfelde und Giesensdorf. An Giesensdorf wird heute nur noch durch die Giesendorfer Straße  und die Dorfkirche Giesensdorf erinnert. Schon bald machte er sich ans Werk und ließ bereits im Sommer 1866 quer durch die Felder die ersten Straßen anlegen. Die Mühlenstraße (heute Karwendelstraße) und die Drakestraße. Bei der Anlage der Mühlenstraße waren erhebliche Schwierigkeiten zu überwinden, es mussten große Erdmassen bewegt werden, denn es gab damals noch einen Mühlenberg, auf dem die Lichterfelder Mühle stand. Für diese arbeiten hatte Carstenn zahlreiche Polen (!) angeheuert, die über Nacht das stille Dorf bevölkerten und beunruhigten. Auf dem Gutsgelände von Giesensdorf wurde zunächst die Bahnhof- und die Wilhelmstraße (heute Königsberger Straße) gebaut, die die Anbindung des zu parzellierenden Landes an die Anhalter Bahn ermöglichen sollten.

 

Durch den Bau des Straßenzuges Drakestraße und Wilhelmstraße (heute Königsberger Straße) schuf Carstenn die Hauptachse für seine Baufelder in den beiden ehemaligen Rittergütern Giesensdorf und Lichterfelde. Außerdem eröffnete die Firma Siemens  Halske am 16. Mai 1881 die erste elektrische Straßenbahn der Welt: Sie verband auf 2,45 km die Kadettenanstalt mit dem Bahnhof Gross-Lichterfelde (heute: Lichterfelde Ost) und schließlich im Jahre 1890 auch Lichterfelde West. Damit war eine unverzichtbare Anbindung an das damalige Berlin garantiert; ein wichtiges Argument für die Verlegung der Kadettenanstalt weit vor den Toren Berlins. Die Fahrzeit zwischen der Kadettenanstalt und dem Bahnhof Gross-Lichterfelde betrug lediglich 10 Minuten. Das schafft man heute kaum mit dem Auto.

 

 

Mein Großvater betrieb hier eine Gaststätte.

 

Das Stadtbild der Carsten-Figur im Osten und Westen (Friedenau) der heutigen Bundesallee wiederholt sich in Lichterfelde-Ost rund um den heutigen Oberhofer Platz.

 

 

 

Aber Carstenn-Lichterfelde und die anderen Projektentwickler hatten auch zur damaligen Zeit bereits ihre Kritiker. Einer der schärfsten Kritiker war Otto Glagau in seinem Buch „Der Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin“ aus 1876.

 

Bei gewissen Leuten steigerte sich mit dem Essen der Appetit; und so gründete Herr Carstenn denn noch, in Verbindung mit Richard Schweder, Paul Munk, Gustav Markwald, Georg Beer und einigen Andern, den “Berlin-Charlottenburger Bau-Verein“, dessen Actien im Februar 1872 mit 110 an die Börse kamen. Diesen Aufschlag rechtfertigte der „Prospect“ indem er pro 1872 eine Dividende von nahe 13 Procent feststellte, welche aber nur den Gründern zu Gute kommen konnte, denn Actionäre waren noch gar nicht vorhanden, und nachdem man sie eingefangen hatte, gab es keine Dividende mehr.

Der „Berlin-Charlottenburger Bauverein“ resp. Herr J. A. W. Carstenn hat Grossartiges geleistet – im Abstecken von Strassen und Plätzen. Eine unabsehbare Riesenstrasse zieht sich von Steglitz bis Charlottenburg. Sie heisst die Kaiserstrasse (heute: Bundesallee),  ist über eine halbe Meile lang, breit und prächtig – nur fehlen ihr noch die Häuser, und die Baugründe sind einstweilen hier, wie in dem Gewirr der Quer- und Nebengassen, als Viehweide verpachtet. Auch die beiden „Baubureaux“ in Berlin und Wilmersdorf sind geschlossen; trotzdem hat die „Verwaltung“ im letzten Jahr über 11,000 Thaler Unkosten verursacht! Ein Räthsel, das nur  „Aufsichtsrath“ und „Direction“ zu lösen vermögen. Aber Beide verbergen sich jetzt wie Adam und Eva nach dem Sündenfall.

Herr J. A. W. Carstenn hatte sich als Bauspeculant schon in Hamburg und Umgegend versucht, und liess sich nach 1866 in Lichterfelde bei Berlin nieder; einem kahlen sonnenverbrannten Dorfe, aus dem er, vermöge seines ebenso rastlosen wie kühnen Eifers, eine Villen-Colonie mit zwei Bahnhöfen zu machen wusste. Es war ein Mann von Scharfblick und Combination; er witterte, dass die Hauptstadt des Norddeutschen Bundes wachsen und sich ausdehnen müsse; er begann ringsum Berlin zu colonisieren, er trieb die Baustellen-Ausschlachterei und den Baustellen-Handel en gros. Bei diesem Geschäft gewann er Millionen, und mit den Millionen überfiel ihn ein anderes Gelüst. Er hatte mit Generalen und Baronen gegründet, und der Umgang mit der Aristokratie ist ansteckend. Er hatte sich die Regierung wegen der neuen Kadettenhäuser verpflichtet, und so konnte es ihm nicht fehlen. Eines Abends ging er noch als J. A. W. Carstenn zu Bette, und am Morgen stand er auf als Herr von Carsten-Lichterfelde.

 

Literatur- und Quellennachweis:

 

Glagau, Otto;

Verlag von Paul Frohberg, Leipzig 1876;

Antiquariat Wilhelm Hohmann, Stuttgart 1996 (Reprint)

 

Klebes, Günther

Europäische Bibliothek – Zaltbommel / Niederlande MCMLXXXIV

Die Straßenbahnen Berlins in alten Ansichten, Hundert Jahre elektrische Straßenbahnen

 

Reinhold, Erika (Erzählung), Reinhard Ilgner (Fotos);

Buchhandlung Bodenbender, Inh. Reinhard Ilgner, Berlin, 2002;

Lichterfelde vom Dorf zum Vorort von Gross-Berlin

Das reich bebilderte Buch informiert mit vielen Bildern und Texten ausführlich über die Geschichte Lichterfeldes. Es ist für 34,80 € zu erhalten über die Buchhandlung Ilse Bodenbender Inh. Reinhard Ilgner, Baseler Straße 1, 12205 Berlin, Telefon 030-8332012

 

Zehrfeld, Axel G.;

Berliner Terraingesellschaften