Vereins-Bank, Quistorp & Co.

 

Link zu Stadt- und Lageplänen sowie Bildern

 

.

Die Aktie wurde von Herrn Quistorp unterschrieben mit

„VereinsBankQuistorpCo.“

.

Westend (damals noch) bei Charlottenburg

Schon lange vor der Gründung der Vereins-Bank Quistorp & Co. wurde der Bereich westlich der Stadt Charlottenburg für Projektentwickler interessant.

 

Die Entwicklung Westends begann Ende der 1860er Jahre. Der zu Vermögen gekommene Zeitschriftenverleger Ludwig von Schaeffer-Voitließ ließ das Schloss Ruhwald (Link) erbauen und einen großzügigen Landschaftsgarten, den heutigen Ruhwaldpark, um das Schloss herum anlegen.

 

1866 begann die von Albert Werckmeister gemeinsam mit Johannes Quistorp (einem Bruder von Heinrich Q.), dem Baumeister Martin Gropius (ein Onkel von Walter Gropius) und anderen Persönlichkeiten gegründete

            Kommanditgesellschaft auf Aktien „Westend“

große Flächen in Westend aufzukaufen, zu parzellieren und bebaut oder unbebaut weiterzuverkaufen.

 

Schon kurz nach der Gründung geriet die Gesellschaft in Schwierigkeiten. Nach deren Auflösung 1868 gingen die Geschäfte auf die

            Westend-Gesellschaft H. Quistorp & Co. zu Berlin

über, in der Heinrich Quistorp ein haftender Gesellschafter war. Johannes Quistorp zog sich aus dem Unternehmen zurück.

 

Mit der Vollendung der Ringbahn wurde 1877 der Bahnhof Westend eröffnet. Damit wurde die Verkehrssituation nicht nur für Westend, sondern auch für die Stadt Charlottenburg wesentlich verbessert.

 

Heinrich Quistorp – Vereinsbank Quistorp

Heinrich Quistorp (* 30.04.1836 † 05.12.1902 in Charlottenburg) war ein Sohn des Wolgaster Kommissionsrates August Heinrich Quistorp (1783–1853) und dessen Ehefrau Johanne Hecht (1798–1877).

 

Quistorp wurde Kaufmann und ging nach Glasgow. 1862 heiratete er die Engländerin Emma Lumb (* 1837).

Später zog es ihn nach Berlin. Dort war er ab 1866 Bauentwickler von Berlin-Westend. Dort entstand ein Villenvorort. Die architektonische Planung übernahm der Mitgesellschafter der Baugesellschaft, Martin Gropius.

 

Um die Wasserversorgung sicherzustellen (das zu bebauende Areal lag höher als die umliegenden Flächen), ließ er in den Jahren 1871 / 1872 am Teufelssee im Grunewald gegen anfänglichen Widerstand der Stadtverwaltung von Charlottenburg ein Wasserwerk errichten.

 

Das Wasserwerk lag auf „fiskalischen Terrain“ im Königlich Spandauer Forst, es ist das älteste noch erhaltene Werk in Berlin. Die Anlage wurde 1969 wegen technischer und hygienischer Mängel stillgelegt.

 

Allerdings gab es auch ein Wasserwerk direkt neben dem Gelände auf der anderen Seite des Spandauer Damms.

 

Das Wasserwerk am Teufelssee wurde später von der Charlottenburger Wasserwerke AG übernommen (Link)

 

Nach der Chronik von Alt-Westend von Willy Bark aus 1937 gingen die Pläne des Herrn Quistorp

weit über das kleine Westend hinaus. Im Geiste sah er es schon sich entwickeln, nicht zur stillbescheidenen Villenkolonie, sondern zum glänzenden Vorort der Hauptstadt [Berlin] selbst, zu einem von Charlottenburg vollkommen unabhängigen Stadtteil, dessen vornehme Eleganz alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen sollte. Bezeichnete er doch sogar schon die Stelle für einen großartigen Tempel, in dem nach seinen Worten „Protestanten und Katholiken, Juden und Mohammedaner in ungetrübter Einigkeit ihren Gott verehren sollten“ (Schultz, Chronik, S. 237).“

 

Sogar ein zentraler Platz war bereits für das Glaubenshaus vorgesehen, direkt gegenüber dem Marktplatz – s. Abb. Heute ist dort der Branitzer Platz, allerdings ohne Kirchengebäude und Markt.

Der fortschrittliche Gedanke des Herrn Quistorp soll jetzt 150 Jahre später im Jahr 2021 in Berlin-Mitte durch das House of One am Petri-Platz, an der Leipziger Straße realisiert werden.

 

1870 gründete er die Vereinsbank Quistorp & Co. (Einlage 200.000 Thaler) zum Zweck der Finanzierung von Bankgesellschaften. Die Gesellschaft initiierte mehr als 29 Unternehmen des Bau- und Transportsektors aber auch industrielle Betriebe mit einer Kapitalsumme von über 66 Millionen Mark.

 

Darunter war die

Chemischen Fabrik auf Actien (vorm. E. Schering, ein Vorläuferunternehmen der Schering AG) sowie die

          Continental-AG für Wasser- und Gasanlagen

 

und mehrere Terraingesellschaften:

Chemnitzer Baugesellschaft

Deutscher Central-Bauverein (Link)

Westend-Berlin, Commandit-Gesellschaft auf Actien Heinrich Quistorp

Westend Frankfurt am Main

Westend-Gesellschaft H. Quistorp & Co.

 

Die Vereinsbank gründete lediglich die Gesellschaften, die Gründungskosten hatte die jeweilige Gesellschaft selbst zu tragen. Bei vielen Gesellschaften räumte die Vereinsbank ihren eigenen Aktionären ein Vorkaufrecht ein. Die Aktien der Unternehmen platzierte sie an der Berliner Börse und kümmerte sich um die Geldgeschäfte der Unternehmen.

 

Der Zusammenbruch der Vereinsbank im Jahr 1873 löste eine Serie von Firmenzusammenbrüchen aus. Über 70 Banken verloren über 470 Millionen Mark an Krediten.

 

Der Insolvenz der Bank bedeutete natürlich auch für den persönlich haftenden Quistorp als Komplementär den Bankrott. Im Jahr 1883 lotete er in Paraguay die Möglichkeit zur Errichtung einer Siedlerkolonie aus und veröffentlichte unter dem Namen Henry Quistorp auf Englisch eine entsprechende Broschüre. Es gelang ihm, die Unterstützung der Regierung zu gewinnen. Diese stellte staatlichen Grundbesitz zur Verfügung und trug durch Anleihen und Subventionen zur Finanzierung bei. Es wurde sogar eine Schifffahrtslinie nach Deutschland eingerichtet. Die Siedlung Neu Germania zog einige Dutzend Siedler an, erwies sich aber unter anderem wegen des Klimas als Fehlschlag.

 

Daraufhin kehrte Quistorp nach Deutschland zurück. Er lebte fortan von Grundstücksvermittlungen, Bauberatung und Geldern der Konkursverwaltung seiner ehemaligen Unternehmen.

Im Dezember 1885 ließ sich seine Frau von ihm scheiden, weil er nicht mehr für einen standesgemäßen Unterhalt sorgen konnte.

Quistorp hatte drei Söhne. Der jüngste Sohn ertrank 1882 als Kadett in der Kieler Bucht. Die beiden anderen Söhne wurden Kaufleute in Argentinien.

 

Glagau, Börsen- und Gründungsschwindel - Seite 125 ff.

 

Von der riesigen „Kaiserstrasse“ des Herrn Carstenn führt´s über oder um Charlottenburg nach dem luftigen Plateau „Westend“, zu Herrn Heinrich Quistorp. „Westend“, ein künstliche unwirthliche Schöpfung, war der "erste Versuch“ Quistorp´s, mit dem er im Jahre 1868 debutierte, aber ziemlich abfiel. Erst in der Schwindelperiode konnten Beide durchschlagen. Herr Quistorp vertheilte pro 1871 plötzlich 16 Procent Dividende, und vermehrte das Actiencapital, das bis dahin, wenn wir nicht irren, nur 100,000 Thaler betrug, mit einem Schlage um 1,100,000 Thaler. Die neuen Actien wurden zu dem bescheidenen Course von 150 (!) ausgegeben, und dann bis ca. 225 getrieben.

Von Herrn Schäfer Voit ward ein grosses “Bauterrain“ von 450 Morgen zugekauft und „Neu-Westend“ benanmst, sowie das am Spandauer Bock belegene „Schloss Ruhwald nebst Park“. Herr Quistorp, der sich jetzt mit einem Stabe von Literaten, “Volkswirthen“ und Naturwissenschaftlern umgab, liess durch diese „Westend“ als die natürlichste, gesündeste und anmutigste Colonie von der Welt anpreisen. “Schloss Ruhwald“ ward bereits als die künftige Residenz eines Preussischen Prinzen bezeichnet; und von diesem Schlosse bis zum Schloss in Berlin eine fortlaufende Strasse in Aussicht gestellt (heute: Spandauer Damm) – „die schönste und einzige grosse Avenue“, gegen welche die Kaiserstrasse (heute: Heerstraße, Kaiserdamm) des Herrn von Carstenn ein blosses Kind blieb, denn die Entfernung beträgt gut fünf Viertel Meilen.

Nach der Versicherung der Zeitungen, bot man für die Bauparcellen auf „Neu-Westend“ schon fünf mal mehr als sie die Gesellschaft kosteten; und viele Kauflustige waren angeblich von Herrn Quistorp abgewiesen, da sie sich nicht verpflichten wollten, auch gleich mit dem Bau von Villen vorzugehen. Zum Neujahrstag 1873 ward das Publikum nach „Westend“ geladen, um hier das „Arbeitsmodell der Wasserwerke“ in Augenschein zu nehmen – gegen ein Entrée von 2½ Silbergroschen. Daneben wurden weitere Bauterrains übernommen, bei Tempelhof, Köpenick, Potsdam …; und von der Westend-Gesellschaft für eigene Rechnung oder „commissionsweise“ „parcelliert“.

Ungleich manchem Gründer, der mit Grammatik auf gespanntem Fuss lebt, schreibt Herr Quistorp einen „gebildeten Stil“, ist er ein pompöser Schriftsteller. Wie Napoleon Bonaparte, mit dem wir ihn schon früher in Parallel stellten, veröffentlichte auch Heinrich Quistorp über seine Thaten und Erfolge regelmässige Bülletins, die als charakteristische Beiträge zur Zeitgeschichte wol verdienten, gesammelt zu werden. Vor uns liegt der Jahresbericht vom 14. Januar 1873, in welchem Herr Quistorp den Actionären von Westend – neun Monate vor dem Concours der Gesellschaft – noch goldenen Berge verspricht.

Fast noch interessanter ist die Bilanz pro 1872, die der Aufsichtsrath, unterzeichnet von …, publiciert.  Nach dieser Aufstellung erhalten die Actionäre 17 Procent Dividende oder zusammen 204,000 Thaler; der Aufsichtsrath 15 Procent Tantiéme oder 43,200 Thaler – ein hübsches Douceur für eine nur nominelle Mühewaltung; die beiden Gesellschaftern Quistorp und Scheibler gleichfalls 15 Procent Tantiéme … Ausserdem hat sich der „erste Gesellschafter“ Quistorp an „Provisionen“ für Verkäufe von Bauparcellen noch 33,786 Thaler berechnet. Man sieht: Aufsichtsrath und Gesellschafter beanspruchten circa zwei Fünftel des Reingewinns, während auf die Gesammtheit der Actionäre wenig mehr als drei Fünftel entfiel; und Quistorp allein bezog ein Sechstel des Ganzen, in einem Jahre von einer einzigen Gesellschaft über 55,000 Thaler.

 

(Theoretisch hätte ein Taler, der 1914 drei Reichsmark wert war, heute einen Kaufwert von ca. 50 Euro)         

Literatur- und Quellennachweis:

 

Berliner Emissionshäuser und ihre Emissionen in den Jahren 1871 und 1872 (Google)

 

Chronik von Alt-Westend

Mit Schloß Ruhwald, Spandauer Bock und Fürstenbrunn

Willy Bark, Berlin 1937

Schriften des Vereins für die Geschichte Berlins, Heft 56

 

Genealogie und Geschichte der Familie Quistorp (Link)

 

Pharus-Plan Berlin von 1902

 

Wikipedia

 

https://historicmaps.toolforge.org/berlin/