Deutscher Central-Bau-Verein
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Die Gesellschaft
Die Gesellschaft sollte kleine und mittlere Wohnungen bauen und im übrigen bauliche Ausführungen anderer Gesellschaften des Initiators Quistorp mit leiten. Da erst kurz vor dem Gründerkrach geschaffen, kam es zu keinen nennenswerten Aktivitäten mehr, außer dass das Kapital bis zum Konkurs durch Grundstücksschiebereien verschwunden war. Über den Gründungseifer des Heinrich Quistorp (Link) füllen zeitgenössische Berichte eine Unzahl von Seiten. Quistorp, gebürtig in Stettin und in England schon einmal bankrott gegangen, sah seine Chance im Gründerfieber in Berlin. Er verstand es, sich die Gunst der königlichen Familie zu verschaffen, was ihm wiederum alle Türen öffnete.
Sein erster Versuch war die Villen-Kolonie Westend an der Chaussee nach Spandau, hinter Charlottenburg. Sie lag, so schrieb man damals, "auf einer kahlen, allen Winden preisgegebenen Anhöhe. Es wollten sich keine Käufer, nicht einmal Mieter finden. Die luftigen Villen, bei deren Anblick man leicht einen Rheumatismus verspürt, wurden jahrelang nur von Quistorp und seinen Freunden bewohnt." Dennoch genossen die "Quistorp`schen Werte" besonderes Ansehen und wurden von den Banquiers ihren solidesten Kunden als hochfeine Kapitalanlage empfohlen.
Als endlich auch Quistorp im Gründerkrach fallierte, glaubte man in manchen Kreisen das Ende der Welt gekommen. Nur am Rande: Dass dieser Mann auch Schering gründete, war eine rühmliche Ausnahme bei seinen sonstigen Aktivitäten.
Otto Glagau, Der Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin
Aber der geniale Gründer hatte an „Westend“ nicht genug - er schuf noch eine zweite „Baugesellschaft“. Unmittelbar nachdem Herr Quistorp das Capital von „Westend“ um 1,100,000 Thaler vermehrt hatte, gründete er den „Deutschen Central-Bau-Verein“, für den er gleichfalls eine Actiensumme von 1,200,000 Thaler in Anspruch nahm. Dieser war ehemals eine „Genossenschaft“ gewesen, aber wie Quistorp im „Prospect“ sich ausdrückte, das „Experiment eines humanen Princips“ geblieben; und wurde nun in eine Actiengesellschaft umgewandelt. Der „Deutsche Centralbauverein“ sollte nicht Villen, sondern kleine und mittlere Wohnungen bauen; und ausserdem einem schreienden Bedürfniss abhelfen, nämlich „die baulichen Ausführungen der Westend-Gesellschaft gegen eine der Sache entsprechende Provision mitleiten“, während die Westend-Gesellschaft wieder seine, des Deutschen Centralbauvereins, Bauterrains „commissionsweise parcellieren“ und von den ihm übertragenen Bauten eine „entsprechende Rückprovision“ beziehen sollte.
Man merkt, wie erfinderisch Herr Quistorp war, um den eigentlichen Zweck seiner Gründungen festzustellen, und wie innig er die verschiedenen Gesellschaften mit einander verknotete - eine Verknotung, die später immer eine Gesellschaft nach der andern in den Concours riss, und ein Monstre-Verfahren herbeiführte, die dem sowol dem Concoursrichter wie dem Massenverwalter Jahre lang die Haare zu Berge standen. Bei den Baugesellschaften hatte Quistorp dieselben Verbündeten und Gehülfen: ausser den schon Genannten noch die Herren Stadtrath Holtz, Apotheker H. Augustin, Dr. med. Eduard Wiss u.A.
Der „Volkswirth“ Wiss hatte kurz vorher im Feuilleton der „National-Zeitung“ einen Bandwurm von Artikeln über Wohnungsnoth, Wohnungsreform etc. Losgelassen, die alle in dem Satz gipfelten: das einzige Rettungsmittel sei die Colonisation. Zum Dank für diese Reclame machte ihn Quistorp zum „Vorsitzenden des Aufsichtsraths“, und nun ging der „Deutsche Centralbauverein“ in´s Zeug mit Ankäufen Parcellirungen und Bauausführungen. Das erste Geschäftsjahr schloss am 1. Juli 1873 mit einer Dividende von 15 Procent, aber nur 10 Procent kamen zur Auszahlung; während „Aufsichtsrath“ und „Direction“ das Ihrige natürlich voll eingestrichen haben werden.
Im Juli 1873, mitten im „Krach“, rückte Herr Quistorp noch mit dem Antrage heraus, „das Actiencapital successive auf vier Millionen Thaler zu erhöhen“; was auch beschlossen ward. Aber es blieb beim Beschlusse. Schon nach drei Monaten brach der „Deutsche Centralbauverein“ zusammen, mit einer Million Unterbilanz. Die Grundstücke, welche mit mehreren Millionen zu Buche standen, sind bei der gerichtlichen Taxe auf ein Fünftel oder noch tiefer herabgesetzt. Die Masse wird kaum die Schulden decken - über 2 ½ Millionen Thaler; die Actionäre haben Alles verloren.
Doch Herr Quistorp ist nicht ausser Fassung zu setzen. Mitten im Concurse, gründete er eine neue Gesellschaft: Westend-Berlin. Wieder eine Illustration zum Actiengesetz. Inzwischen arbeitete er auf einen Accord hin, und gewann dafür die Mehrzahl der Gläubiger. Allein das Berliner Stadtgericht verweigerte die Bestätigung des Accords - ein Fall, der sich höchst selten ereignet. Der Gerichtshof versagte die Bestätigung wegen der eigenthümlichen Manipulation des Gemeinschuldners, „aus Gründen der öffentlichen Ordnung“. Herr Quistorp hatte z. B. Grundstücke erstanden, und sie zunächst der „Westend-Gesellschaft“, und dann wieder Namens dieser, dem „Deutschen Centralbauverein“ verkauft, jedesmal natürlich zu höherm Preis. Der Accord wurde versagt, aber Herr Quistorp rief die höhere Instanz an; und hingerissen von der Beredsamkeit des Herrn Rechtsanwalt Munckel, stiess das Kammergericht den Beschluss des ersten Richters um. Herr Quistorp accordiert jetzt, und vielleicht hat dieser Mann seine Rolle noch lange nicht ausgespielt.
Literatur- und Quellennachweis
Glagau, Otto;
Verlag von Paul Frohberg, Leipzig 1876;
Antiquariat Wilhelm Hohmann, Stuttgart 1996 (Reprint);
Der Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin
Gutowski, Vladimir (verantwortlich für den Inhalt);
Auktionshaus Gutowski GmbH (Hrsg. + Verlag)
verschiedene Auktionskataloge,
SUPPES 2008/09 ff. Bewertungskataloge für Historische Wertpapiere, Deutschland vor / nach1945
SUPPES Special, Übersicht aller im Reichsbank-Schatz vorhandenen Papiere
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