Gartenstadt Atlantic Aktiengesellschaft

 

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Die Gesellschaft

Die Gesellschaft wurde im Jahre 1916 als

            AG für Butter- und Fettverwertung gegründet.

Umbenennung 1921 in

            Handelsgesellschaft Atlantic und seit 1933

            Gartenstadt Atlantic Aktiengesellschaft

 

Die Grundstücke an der Bellermannstraße wurden 1923 von den Herren Adolf Raatz und Alfred Edling für Aktien im Wert von 5 Mrd. Mark eingebracht, die Hälfte der damaligen Kapitalerhöhung um 10 Mrd. Mark. Nach der Inflation wurde das Aktienkapital auf 1 Mio. Mark umgestellt, das 1938 auf 600.000 RM herabgesetzt wurde. Danach gab es anscheinend keine weiteren Veränderungen des Aktienkapitals.

 

Zweck war zuletzt die Verwaltung eigenen und fremden Grundbesitzes.

 

Bis 1942 wurden keine Dividenden ausgeschüttet.

 

Vorstand der Gesellschaft war 1942 der Bankier Wolf Frhr. v. Massenbach, stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrates war der Wirtschaftstreuhänder Willy Schulz. Diese beiden Herren unterzeichneten dann auch 10 Jahre später die Aktienurkunde (Muster) aus 1952. Unklar ist, ob diese Aktien je emittiert wurden – wahrscheinlich nicht.

 

Die Gartenstadt Atlantic wurde in den 1920er Jahren nach Entwürfen des Architekten Rudolf Fränkel neben dem Bahnhof Berlin-Gesundbrunnen direkt zur Grenze von Pankow errichtet.

 

Seit 1931 war der jüdische Verleger und Kinopionier Karl Wolffsohn Pächter und Betreiber des Großkinos. Im Jahre 1937 konnte Wolffsohn mit Hilfe amerikanischer Investoren  die Gartenstadt Atlantic AG einschließlich des Lichtspielhauses erwerben. Der Vertrag wurde in Prag geschlossen.

 

Im Rahmen der Arisierung der Gartenstadt Atlantic wurde Karl Wolffsohn von den Nazis von August 1938 bis Februar 1939 in „Schutzhaft“ genommen bis er die Aktien der Gartenstadt ohne Gegenleistung an Arier als „Geschenk“ überließ. Um den Schein zu wahren, wurde ein Proforma-Kaufvertrag geschlossen, Geld floss nicht. Wolffsohn vereinbarte mit den „Beschenkten“, dass es sich lediglich um eine Treuhandschaft handele – bis zu seiner eventuellen Rückkehr nach Deutschland. Danach „durfte“ er ohne Vermögen mit seiner Frau Deutschland Richtung Israel verlassen.

 

Übrigens, schon damals sparte man Grundsteuern, wenn „nur“ eine Gesellschaft, die Atlantic AG verkauft wurde – nicht aber die Grundstücke selbst.

 

In der Gartenstadt überstanden 46 von 49 Häusern den 2. Weltkrieg verhältnismäßig unbeschadet; das Kino wurde aber stark beschädigt.

Anfang der 1950er Jahre gaben tatsächlich zwei der „Beschenkten“ ihre Anteile wieder zurück. Mit den beiden Anderen mussten jahrelange Prozesse geführt werden, die letztlich erfolgreich für Karl Wolffsohn ausgingen.

 

Baron von Massenbach versuchte als Vorstand der AG augenscheinlich in den Jahren von 1950 bis 1954 die Geschäftstätigkeit der Atlantic AG „etwas zu erweitern“. Dabei kam es anscheinend auch zu einer „Privatisierung von Gesellschaftsvermögen" und Börsenspekulationen. Zusätzlich wurde noch eine Baufirma gegründet, die überhöhte Rechnungen an die Atlantic AG ausstellte.

 

Das abgebildete Aktienmuster stammt von 1952. Ob tatsächlich Aktien ausgegeben wurden, ist mir nicht bekannt. Zumindest war sicherlich geplant, die „Geschäftstätigkeit“ mit neuen Aktien auszuweiten solange Herr Wolffsohn noch wenig oder keinen Einfluss auf die Gesellschaft hatte.

 

1954 gab Baron Massenbach seinen Vorstandsposten auf und seine Aktien zurück. Max Wolffsohn, der Sohn von Karl W., unterstütze jetzt seinen Vater und übernahm nach dessen Tod im Jahre 1957 die Geschäfte endgültig.

Allerdings gab es noch – wie so oft – Erbstreitigkeiten mit dem Bruder Zeew W., der weiterhin in Israel beheimatet war, ehe Max W. und später sein Sohn Michael Wolffsohn die Aktiengesellschaft allein übernehmen und die Immobilie in den Jahren 2001 bis 2005  umfassend sanieren konnten.

 

Heute ist die Gartenstadt eine beliebte, bewusst multikulturelle Wohnanlage mit rund 500 Wohnungen und verschiedenen Gewerbeeinheiten; sie steht unter Denkmalschutz.

 

Die Lichtburg

Die Lichtburg war seinerzeit eines der bedeutendsten Kino- und Varietétheater Deutschlands – Amüsierpalast mit über 2000 Sitzplätzen, Tanz- und Festsälen, Restaurants, Bars, Cafés, Kegelbahnen und Vereinszimmern.

 

Im Rahmen der Arisierung musste Wolffsohn die Lichtburg 1938/39 an Paul Franke pro forma verkaufen. Eine Zeitlang wurde  das Haus unter der Leitung des Kammersängers Walter Kirchhoff als Operntheater betrieben. Nach dem Krieg diente es zeitweise als Pferdestall für die Rote Armee. 1947 erfolgte die Wiedereröffnung unter dem Namen Corso-Theater, zunächst mit einem Operetten-Programmen.

 

Das Kino lag zwar noch im Gesundbrunnen, also im Westteil der Stadt im französischen Sektor aber direkt an der Grenze zu Pankow im damaligen Ost-Berlin, dem sowjetischen Sektor. Als nach dem Bau der Mauer am 13.08.1961 die Besucher aus Ost-Berlin weg blieben, kam es zu wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Der Prachtbau wurde schließlich an das Land Berlin verkauft und in eine  Lagerhalle für Weizen und Konserven umgewandelt. Wie an vielen Stellen Berlins wurde hier ein Teil der sogenannten „Senatsreserve“ eingelagert. Die Senatsreserve war die Notreserve für eine mögliche erneute Blockade der Stadt durch die Sowjets wie in 1948. Trotz Denkmalschutz wurde das Gebäude 1970 abgerissen.

 

Literatur- und Quellennachweis:

30

Benecke & Rehse, Aktien-Gesellschaft für Historische Wertpapiere, Wertpapierantiquariat

Verschiedene Verkaufskataloge (Deutsche Wertpapierauktionen GmbH, DWA – Freunde Historischer Wertpapiere, F.H.W.)

 

40

Bogon, Winfried

(digitaler Reprint November 2005, 2008 - Verlag für digitale Publikationen)

Handbuch der Deutschen Aktiengesellschaften, 1914/15 + 1925 + 1932 + 1943

 

300

Pharus-Pläne, Nachdrucke

Scharnhorststraße 25, 10115 Berlin – Webseite www.pharus.eu

 

460

Wolffsohn, Michael

dtv Verlagsgesellschaft

Deutschjüdische Glückskinder

Hier geht´s los, eine kleine Auswahl

 

Berlin: Bezirke

Straßenverzeichnis

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