Actien-Bauverein Passage
Beschreibung der Gesellschaft
Die Gesellschaft wurde 1870 mit einem Kapital von 2 Mio. Thalern gegründet.
Zweck der Gesellschaft: Erwerb von Grundstücken und Gebäuden in Berlin, Verwertung und Ausnutzung derselben, auch durch die Errichtung und den Betrieb von Unternehmungen für eigene Rechnung oder durch finanzielle Beteiligung an derartigen Unternehmungen, Ausnutzung der technischen Einrichtungen, auch über die eigenen Grundstücke hinaus, Beteiligung bei Hotelgesellschaften, insbesondere bei der Berliner Hotel-Gesellschaft.
Sie baute und betrieb die Kaiser Galerie. Es handelte sich dabei um eine nach italienischen Vorbildern gestaltete, mit Glas überdachte Passage in einem dreigeschossigen Mehrzweck-gebäude. Der Grundbesitz von 331 Quadrat-Ruten (rd. 4.700 m²) der Gesellschaft umfasste die Grundstücke
Unter den Linden 22/23
Friedrichstraße 163/164 sowie
Behrensstraße 51, 52, 53 –
also in bester Lage der damaligen und heutigen Mitte Berlins.
Architekten der 130 m langen Passage waren Kyllmann & Heyden. Das Projekt ist sechs Monate vor Ausbruch des Krieges 1870 entstanden. Der Bau war elegant und geschmackvoll. In der Passage befanden sich ein Konzertsaal, Restaurants, ein Hotel, mehr als fünfzig Läden sowie Büroräume. Schon die Eröffnung am 22.03.1871 durch Kaiser Wilhelm I. an seinem Geburtstag machte die damalige Prominenz des Gebäudes deutlich. Der Kaiser war auch Mitglied des ersten Aufsichtsrates.
In Folge der hohen Preise für Baumaterialien wurde die veranschlagte Bausumme für das Gebäude überschritten. Außerdem liefen in den ersten Jahren wegen der Konkurrenz durch das Eisenbahn- (Central-) Hotel die Geschäfte schlecht, so dass bereits 1882 ein Kapitalschnitt 4:3 vorgenommen werden musste.
1873 erwarb man das benachbarte Meinhard´sche Hotel zu einem, wie es in der zeitgenössischen Presse hieß, überhöhten Preis. 1889 kam als weitere Attraktion noch ein Panoptikum hinzu, welches die erste Kapitalerhöhung erforderlich machte. Dafür wurde extra die Gesellschaft Passage Panoptikum gegründet.
1901 erhielt der Komplex ein eigenes E-Werk, welches 1905 noch erweitert wurde.
1912 wurden die Grundstücke Friedrichstraße 161 / 162 mit einer Größe von 30,5 qR (425 m²) für einen Preis von 1,65 Mio. Mark erworben; 350.000 Mark wurden bar bezahlt, 1,3 Mio. Mark wurden durch Übernahme von Hypotheken ausgeglichen. Außerdem wurden abermals neue Aktien emittiert, um die hochverschuldete Hotelgesellschaft zu übernehmen.
Diese Beteiligung wurde 1920 wieder aufgelöst, und die neuen Aktien den Passage-Aktionären angeboten.
Das Panoptikum wurde 1923 wieder geschlossen.
In den 1930er Jahren wurde der Komplex mehrfach umgebaut, um das Gesamtbild der Neuzeit entsprechend zu gestalten. Die Läden waren kaum noch zu vermieten - Gewinne konnten somit nicht mehr erwirtschaftet werden. Das Unternehmen entwickelte sich immer mehr zu einem Spekulationsobjekt für skrupellose Geschäftemacher.
In dieser Zeit trat auch der neue Großaktionär in Erscheinung - die schwedische Tansticks AB (Zündholzmonopol), die selbst oder über deutsche Töchter knapp 80% des Grundkapitals hielt. Ob dieser Aktionär ein böses Omen war, ist unsicher, jedenfalls fielen die Gebäude in 1943 einem Luftangriff zum Opfer und wurde durch einen Brand fast vollständig zerstört; geprüft wurde, ob aufgrund des „Gegenseitigkeitsabkommens“ des „Fliegerentschädigungs-gesetztes“ mit Schweden eine Entschädigung gezahlt werden kann.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden zwei Ladeneinheiten wieder aufgebaut, aber 1952 kam das vorläufige Aus für die Gesellschaft, die Grundstücke wurden unter Treuhandverwaltung gestellt. Die Gesellschaft wurde allerdings im Handelsregister nie gelöscht.
Auf dem Grundstück wurde am 01.08.1987 das Grand-Hotel - Flaggschiff der Interhotel-Gruppe in der DDR - und ein Appartementhaus eröffnet. Das Hotel nennt sich heute „The Westin Grand“ (Link). Es steht nicht nur auf dem Grundstück der damaligen „Passage“ sondern auch auf den Grundstücken Unter den Linden Ecke Friedrichstraße.
Der vom Amtsgericht nach der Wende bestellte Notvorstand hielt am 13.08.1991 die erste Nachkriegshauptversammlung der Gesellschaft ab; sie wurde mit einer Kapitalerhöhung wiederbelebt.
Die Eigentümer der alten Aktienurkunden konnten die ihnen gehörenden Aktien umtauschen. Bei der Kapitalumstellung auf DM und anschließenden Erhöhung kann für je 600 RM Nennwert (Ausgabe 01.07.1870) eine neue Aktie zu 50,00 DM bezogen werden. Auf diese Aktien entfallen dann theoretisch 0,35 m² Grund und Boden in Berlin-Mitte. Auf die Aktien vom 02. 09.1912 konnten bei der Kapitalumstellung und -erhöhung zwei neue Aktien bezogen werden - das wären theoretisch 0,7 m² Grundstücksfläche. Natürlich wurde der Aktienumtausch auf den Papieren vermerkt.
Ein Rückblick in die Berliner Wirtschaftsgeschichte
Auch zum Ende des 19. Jahrhunderts blühten in Berlin ähnliche Spekulationen und Aktiengründungen wie zum Ende des 20. Jahrhunderts ... aber sicherlich auch in diesem Jahrhundert. Einen anschaulichen Bericht gibt Herr Otto Glagau in seinem 1876 erschienen Buch „Der Börsen- und Gründungs-Schwindel in Berlin“ (Neuauflage 1996 im Antiquariat Wilhelm Hohmann, Stuttgart).
Unmittelbar nachdem Herr Geber die „Centralstrassen-Societät“ gebildet hatte, „gründete“ Herr Munk, im März 1870, den Actienbau-Verein Passage. Die „Passage“, in jeder Hinsicht ein Seitenstück zur „Centralstrasse“, ist eine glasbedachte Verbindung zwischen den Linden und der Behren- und Friedrichstrasse, erfüllt mit Läden, Restaurationen, Concert- und andern Sälen. Herrn Munk´s Verbündete waren: die Banquiers Meyer Cohn, ..... Auch hier wurden die nöthigen Grundstücke zu enormen Preisen erworben, und die Gründer machten einen hübschen Schmu. Erster Director ward wieder der eigentliche Attentäter, Paul Munk; bis ihn, noch vor Vollendung des Baues, Herr Stobwasser ablöste.
1873, am 22 März, am Geburtstag des Kaisers, ward die „Passage“ eröffnet, und dem Monarchen zu Ehren „Kaiser-Galerie“ genannt. Zwei Tage vorher erschien auf Einladung des „Aufsichtsraths“ der ganze Hof. Kammerherr von Prillwitz machte die Honneurs. Die Gründer und ihre Damen wurden dem Kaiser, der Kaiserin, den Prinzen und Prinzessinnen vorgestellt. Bilse concertirte; es folgte das Souper und ein Ball. Auch die Vertreter der Presse erhielten eine kalte Collation. Jeder der 8 oder 9 „Aufsichtsräthe“ hatte zu dem Feste 800 Thaler beigesteuert.
Das ist eben das Empörende, dass die Gründer – und nicht blos hier – es wagten, sich an die ersten Personen des Reichs zu drängen, um so ihre unlautern Zwecke zu verhüllen oder gar noch zu glorificiren. Hätten der Kaiser, die Kaiserin und die Prinzen eine Ahnung gehabt von dem schwindelhaften Charakter dieser Gründung; sie würden selbstverständlich nie einen Fuss hierher gesetzt, jenen Leuten nie einen Blick geschenkt haben.
Wie die „Centralstrasse“ (Link), so hatte auch die „Passage“ eine noch blutigere Nachgründung im Gefolge. Die Gründer hatten privatim, zu ganz anderem Zwecke, „Meinhardt´s Hotel“, Unter den Linden 32, angekauft, und es weit über den Werth, mit 500.000 Thalern bezahlt. Als die Conjunctur umschlug, wussten sie nicht mehr, was sie damit anfangen sollten, fassten sich aber schnell und halsten das Grundstück der „Passage“-Gesellschaft auf, der sie es mit einem kleinen Aufgeld von etwa 137.000 Thalern in Rechnung stellten. Dieses Taschenspielerstückchen kam in der nächsten General-Versammlung zur Sprache; etliche wirkliche Actionäre erlaubten sich zu murren, aber sie wurden kurz und bündig zur ruhe verwiesen, nämlich von den „Strohmännern“, welche die Gründer engagiert hatten, überstimmt. Der Ankauf von „Meinhardt´s Hotel“ ward mit imposanter Majorität genehmigt.
Noch vor Vollendung des Baues, noch vor dem „Krach“ wurden jene Dinge ruchbar, und auf der „Passage“ ruhte von vorne herein ein Fluch. Nur mit Noth gelang es die Läden zu vermieten, nachdem man die zuerst in Aussicht genommenen Miethen bedeutend herabgesetzt hatte. Die Concerte verunglückten, die Festsäle blieben leer, die grossen Restaurants in den obern Etagen fanden bald keinen Pächter mehr, und die durch alle Stockwerke gehenden Banklocalitäten“ in der Behren-Strasse konnten überhaupt nicht vermiethet werden. Man verwandelte diese Räume in ein Hotel von 60 Zimmern, aber man suchte vergebens nach einem Pächter. Auch für „Meinhardt´s Hotel“ fand sich Niemand, der den verlangten Pachtzins von 28.000 Thalern zahlen wollte, und so sah die Gesellschaft sich genöthigt, die Bewirtschaftung selber zu übernehmen, wobei sie indess keine Seide spinnt. Nach der Bilanz von 1874 beträgt der „Saldo-Ertrag“ von „Meinhardt´s Hotel“ noch nicht 1 Procent des Anlage-Capitals.
In dem kostbaren Säulensaale der „Kaiser-Galerie“ nahmen am 22. April d. J. die Actionäre die magere Bilanz und den trostlosen Geschäftsbericht entgegen. Das grosse Restaurant in der zweiten Etage ist nach dem Erdegeschoss verlegt; da sich aber auch hier kein Pächter fand, übernahm die Bewirthschaftung ein Consortium, bei welchem sich die Passage-Gesellschaft zu Dreiviertel betheiligen musste. Wenn wir die unklare Bilanz und die ebenso unklaren Notizen der Zeitungen recht verstehen, hat die Gesellschaft bei dieser „Betheiligung“ pro 1873 – 18.750 Thaler, pro 1874 – 25.000 Thaler eingebuttert; auch von den früheren Pächtern das Inventarium und ein grosses Weinlager übernehmen müssen.
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Einst wurde das Papier mit ca. 140 bezahlt, heute notirt es die Börse mit ca. 15. Das Actiencapital beträgt 2.000.000 Thaler, wozu noch 1.366.000 Thaler Hypotheken und Obligationen kommen – 221.000 Thaler Prioritäten waren nicht mehr unterzubringen! Gegen „Passage“ gehalten, ist selbst „Centralstrasse“ eine „höchst solide Gründung“.
Wenn wir durch die Passage gehen, sehen wir sie stets von Menschen angefüllt; aber nur selten erblicken wir in den zahlreichen Läden einen Käufer. Von jeher machten alle diese Läden schlechte Geschäfte; und man sagt, dass hier der Berliner überhaupt nicht kaufe, nur fremde. Den Meisten Zuspruch hat noch Castan`s „Panoptikum“, ein sehr mässiges Wachsfigurencabinet, wo stets der Räuber oder der Mörder paradiert, der Berlin gerade mit seinem Rum erfüllt.
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Wenn wir durch die „Passage“ gehen, lesen wir am Schwarzen Brett, dass die grossen Festsäle, die grossen Restaurants in der obern Etage und das Hotel von 60 Zimmern in der Behrenstrasse noch immer zu vermiethen sind.
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Der Leser irrt, wenn er „Passage“ etwa für das Non plus ultra einer Gründung hält. „Passage“ ist allerdings böse, aber noch weit böser ist der zwei Jahre später geborne Actienbau-Verein Unter den Linden (Link); und beide Kinder haben zum Vater denselben Herrn Paul Munk. ....
Literatur- und Quellennachweis:
Benecke & Rehse, Aktien-Gesellschaft für Historische Wertpapiere, Wertpapierantiquariat
Verschiedene Verkaufskataloge
Bogon, Winfried
(digitaler Reprint November 2005, 2008 - Verlag für digitale Publikationen)
Handbuch der Deutschen Aktiengesellschaften, 1914/1915 + 1925 + 1932 + 1943
Castan´s Panopticum, Ein Medium wird besichtigt
Verlag Karl-Robert Schütze Berlin
Freunde Historischer Wertpapiere F.H.W.;
Verschiedene Auktionskataloge
Geist, Johann Friedrich;
Prestel-Verlag, München, New York 1997
Die Kaisergalerie, Biogrphie der Berliner Passage
Glagau, Otto;
Verlag von Paul Frohberg, Leipzig 1876;
Antiquariat Wilhelm Hohmann, Stuttgart 1996 (Reprint);
Der Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin
Gottschalk, Wolfgang (Hrsg.)
Argon Verlag GmbH, Potsdamer Straße 77-87, Berlin
Das große Berlin – Max Missmann, Photographien 1899-1935
Klünner, Hans-Werner
Hrsg. und Verlag Jürgen Schacht Berlin
BERLIN von den Gründerjahren zur Welstadt, Holzstiche von 1870 – 1900
Klünner, Hans-Werner
Argon Verlag GmbH, Potsdamer Straße 77-87,
Berlin Unter den Linden, Photographien, mit einem Essay von Dieter Hildebrandt
Landesbildstelle Berlin (Hrsg.)
Nicolaische Verlagsbuchhandlung, Berlin
BERLIN Photographien von Waldemar Titzenthaler
Peus, Dr. Busso (Hrsg.)
Der Reichsbankschatz, Auktionskataloge Nr. 1 bis 5 aus 2003, 2004/2005, 2006, 2008
Zehrfeld, Axel G.;
Berliner Terraingesellschaften
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