Actien-Bau-Verein "Unter den Linden" in Berlin
Beschreibung der Gesellschaft
Die Gesellschaft wurde am 18.02.1872 gegründet.
Zweck war die Ausnutzung der der Gesellschaft gehörenden Grundstücke durch Verpachtung oder Vermietung
Die Gesellschaft besaß anfangs die Häuser
Unter den Linden 16 – 19 (heute Nr. 41) und
Behrenstraße 56 – 58.
Die Immobilien wurden teilweise von den Gründern der Gesellschaft eingebracht – anscheinend fielen auch in diesem Falle die Grundstücksbewertungen recht großzügig aus bzw. wurden nicht benötigte Grundstücke auf diese Weise „entsorgt“. (s.a. den fast nebenan agierenden Actien-Bauverein Passage). So brachte einer der Gründer, Herr Paul Munck, zwei Häuser ein und machte damit einen Gewinn von fast 300 % - siehe weiter unten – Otto Glagau.
Bereits 1879 wurden die Häuser Behrenstraße 58 und unter den Linden 16 und 19 mit Verlust verkauft.
1889 wurde das Gebäude Behrenstraße 55 hinzugekauft. Hier befand sich das Theater „Unter den Linden“, später Metropol Theater, heute Komische Oper. Außerdem befanden sich in dem Gebäude noch Büros und exklusive Wohnungen. Unter den Linden 17 / 18 wurde das „Westminster Hotel“ errichtet und 1892 eröffnet. Das Restaurant, das Hotel und Läden wurden verpachtet – genauso wie die Passage (die „Lindengalerie“) zwischen Unter den Linden und Behrenstraße. Der Grundbesitz in bester Lage hatte immerhin eine Größe von 5.692 m².
1904 wurde das alte Landtagsgebäude (vor dem Umzug des preußischen Abgeordnetenhauses in die Niederkirchener Straße) sowie das Geheime Civil-Kabinet am Dönhoffplatz / Leipziger Straße 75/76 gekauft. Der Döhnhoffplatz galt damals als Mittelpunkt Berlins (siehe weiter unten). Dafür wurde die Anleihe aus 1906 über 7,5 Mio. Mark begeben.
Der größte Teil des Gebäudes in der Leipziger Straße war 1911 voll vermietet, teilweise an die Wertheim GmbH. Allerdings befand sich das große Wertheim-Kaufhaus weiter westlich am Leipziger Platz.
Zur Arrondierung erwarb man auch die Grundstücke Leipziger Straße 77 und Jerusalemer Straße 21
1914 wurden die Grundstücke Behrenstraße 53 / 54 erworben.
Bis 1897 wurden keine Ausschüttungen an die Aktionäre geleistet; danach wurden die Geschäfte aber doch ertragreicher: von 1898 bis 1913 wurden, jährlich steigend, 1 % bis 10 % ausgeschüttet. Insofern stimmte die Einschätzung von Otte Glagau in den ersten Jahrzehnten sicherlich. Auf Dauer ging es dann aber doch aufwärts. Aber wer konnte die Aktien schon so lange halten.
1919 trat die Gesellschaft in Liquidation, 1923 erlosch sie. Rechtsnachfolgerin war die
Leipziger Straße. 75/76 Grundstücks-GmbH,
die die noch in Umlauf befindlichen Teilschuldverschreibungen von 1906 einlöste.
Der Dönhoffplatz wurde benannt nach Alexander Reichsgraf von Dönhoff, ein Militärangehöriger *1683 gest.1742. Nachdem das alte Leipziger Tor im Festungswall von 1683 abgetragen worden war, ließ König Friedrich Wilhelm im Jahr 1734 den Platz bebauen. Der Platz war damals rundum von Linden und zur Spitalbrücke mit hölzernen Marktbuden Umgeben. Hier befand sich der steinerne Obelisk oder Meilenzeiger, von welchem ab 1730 der Weg bis Potsdam, später Magdeburg gemessen und Meilensteine gesetzt wurden. Er stand damals vor dem Leipziger Tor und hat heute seinen annähernden Standort wiedererhalten. Der Platz wurde im Krieg zerstört und erscheint 1946 letztmals im Berliner Straßenverzeichnis. Zu Zeiten der DDR wurden die Gegend mit Hochhäusern bebaut.
Auszug aus
Der Börsen- und Gründungs-Schwindel in Berlin, Glagau, Otto
ab Seite 158
Der Leser irrt, wenn er „Passage“ (siehe Actien Bauverein Passage) etwa für das Non plus ultra einer Gründung hält. Die „Passage“ ist allerdings böse, aber noch weit böser ist der zwei Jahre später geborne Actienbau-Verein Unter den Linden; und beide Kinder haben zum Vater denselben Herrn Paul Munk. „Lindenbauverein“ wurde an der Börse wie im Publikum ein „geflügeltes Wort“, „Lindenbauverein“ wurde der Refrain vieler Theater-Couplets, und mit der Geschichte vom „Lindenbauverein“ scheuchte man die Kinder zu Bett.
Parallel mit der Passage, und nur zwei Häuser weiter, sollte eine neue Verbindung zwischen den Linden und der Behrenstrasse durchbrochen, und diesmal eine wirkliche Strasse angelegt werden; ein „Prachtstrasse“, wieder Laden an Laden, dazu mit einem Theater und einem „Riesenhotel“. Die Gründer resp. ersten Zeichner waren ausser Paul Munk: Banquier Emil Heymann, Rentier Georg Beer, Kaufmann Gustav Markwald, Banquier Edmund Helfft, Commerzienrath und Aeltester der Kaufmannschaft Wilhelm Herz, Consul Friedrich Schillow und Seine Excellenz der Staatsminister a. D. Gustav von Bonin, Mitglied des Preussischen Abgeordnetenhauses und des Deutschen Reichstags.
Diese acht Herren constituirten sich unter dem Vorsitz der Excellenz von Bonin als „Lindenbau-Verein“ und kauften sieben Grundstücke an, resp. genehmigten sie den Ankauf. Vier der Grundstücke wurden angekauft von Paul Munk, der sie erst kurz vorher erworben hatten. Die Häuser Behrenstrasse 57 und 56 überliess Munk der Gesellschaft mit einem Aufgelde von je 150,000 Thaler, zusammen also 300,000 Thaler; die Häuser Unter den Linden 17 und 18 mit einem Aufgeld von 1,150,000 Thaler.
Unter den Linden 17 und 18 sind gewissermaßen historische Häuser. Hier hatte Strousberg der Grosse seine Bureaux, hier wurde seine Zeitung, „Die Post“, fabriciert. Munk, der zu Strousberg in vielfachen Beziehungen stand und ein Schüler und Jünger des „Culturhelden“ genannt werden darf, hatte die beiden Grundstücke von diesem während des Krieges für 600,000 Thaler erstanden, und verkaufte sie jetzt dem „Lindenbauverein“ für 1,750.000 Thaler!! Munk erhielt also zusammen ein Aufgeld von 1,450,000 Thaler!!!
Aber selbstverständlich musste er davon seinen Verbündeten abgeben. So cedirte er später von dem Kaufgelderreste: 85,000 Thaler an Banquier Meyer Cohn, 85,000 Thaler an Banquier Aron Hirsch Heymann, 85,000 Thaler an Commerzienrath Hermann Egells – bis auf Letzteren, lauter alte Genossen von der „Passage“ her.
.......
Die Actien, im Betrag von 2,400,000 Thaler wurden ohne Prospect, durch die Preussische Boden-Credit-Actienbank an der Börse „eingeführt“, und durch geschickte Hände der Herren Richard Schweder und Wolf Paradies glücklich abgesetzt. Von den Vorgängen zwischen Munk und Genossen, von der kolossalen Gründer-Beute, hatte Niemand eine Ahnung, weder im Publikum noch an der Börse. Selbst Börsenleute, selbst gewiegte Makler und Banquiers hielten das Papier für gut und nahmen es in Posten (grosse Summen) auf. Schweder kannte kein Erbarmen, er betheiligte mit den Actien Christen wie Juden, die besten Freunde und die eigenen Verwandten. Wir haben selbst einen betrogenen Oheim über den grausamen Neffen jammern hören. – Für den Vertrieb der Actien berechnete die Preussische Boden-Credit-Actienbank sich die Kleinigkeit von 400,000 Thaler.
In den Zeitungen liessen die Gründer verbreiten, wie sehr das Project „an Allerhöchster Stelle interessire“, wie erbaut davon die Staats- und die städtischen Behörden seien; während sich hinterher herausstellte, dass die Behörden sich gegen den Durchbruch, als unnütze und unschöne Unterbrechung der Linden, erklärt hatten. Fortwährend wurde auf den Einfluss des Herrn von Bonin „bei Hofe“ hingewiesen; einen Einfluss, der nicht im Mindesten bestand. Nur bei dem Kronprinzen fand Herr von Bonin zuweilen Zutritt.
Nach dem Kronprinzen wurde die neue „Prachtstrasse“, die nie gebaut werden sollte, sondern nur auf den zahlreichen eleganten Zeichnungen des Hofbauraths Klingenberg existiert, bereits Friedrich-Wilhelm-Strasse genannt, und unter diesem Namen auch die Actien dem Publikum empfohlen. Die „National-Zeitung“ und die alte „Börsen-Zeitung“ meldeten im redactionellen Theil übereinstimmend: Der Bauverein unter den Linden hat mehrere Parcellen sehr vortheilhaft verkauft. Für ein Eckgrundstück sind 9000 Thaler pro Quadratruthe[1] bezahlt worden. – Dieser Preis würde nur den Selbstkosten entsprochen haben, aber thatsächlich ist nie ein Fuss breit verkauft worden.
Die öffentliche Strasse wurde nicht genehmigt, und der „Aufsichtsrath“ beschloss, eine Privatstrasse zu bauen. Aber da kam der „Krach“, und man liess die Häuser stehen. Die zum 1. April 1873 sämmtlich gekündigten Geschäfts- und Wohnungsräume blieben lange leer und sind erst im letzten Jahre wieder vollständig vermiethet worden: natürlich zu sehr herabgesetzten Preisen. Die Strousberg´schen Häuser Unter den Linden 17 und 18, welche den Actionären 1 3/4 Thaler(!!) kosten, sind eigentlich blos Baustellen, alte Ruinen, die im Sommer 1873 einzustürzen drohten und im Keller gestützt werden mussten. Die sieben Grundstücke stehen mit 3,462,000 Thaler (!!!) zu Buch, die Actien notiren etwa 15.
„Lindenbau-Verein“ war eine so mörderische Gründung, dass sie selbst den Unwillen professioneller Gründer erregte, selbst die Börse empörte und selbst einen Theil der Presse in Bewegung setzte. Verschiedene Localblätter geisselten Herrn Munk und Genossen, und forderten sie auf, von dem Raube doch wenigstens Etwas herauszugeben. Eine Anzahl von Actionären trat zusammen, um die Schuldigen zu verfolgen; aber, wie sich´s später herausstellte, waren nicht wenige dieser verbündeten Actionäre selber hartgesottene schwerbelastete Gründer, die zum Theil sich bald zurückzogen, zum Theil sich mit Paul Munk und Complicen zu vergleichen gedachten. Etliche sollen auch eine Abfindung erhalten haben. In Folge der Denunciation schritt der Staatsanwalt ein, die Attentäter wurden vorgeladen und eine Menge von Zeugen verhört. Die Voruntersuchung zog sich durch acht Monate, hatte aber nicht den geringsten Erfolg. Herr Tessendorf, der Erste Staatsanwalt, hat zu den Actien ein längeres Gutachten gegeben, worin er ausführt, dass die Gründer moralisch unbedingt zu verutheilen sind, criminalgesetzlich aber leider nicht zu fassen wären. Die Rathskammer des Berliner Stadtgerichts war derselben Ansicht und verfügte die Einstellung des Verfahrens. Einer der Gründer stand, weil er Landwehr-Officier ist, auch noch vor dem Militärgericht, und die Acten gingen bis an den Kaiser – doch das Resultat blieb dasselbe.
Centrastrasse (Link), Passage (Link), Lindenbau-Verein – um hier nur diese zu nennen: so wurde Berlin Weltstadt! Centrastrasse und Passage, rufen die Gründer, sind doch unbedingt eine Verschönerung der Stadt, gereichten Berlin zur Zierde! – Mag sein. Aber sind sie es wohl werth, dass darum Tausende ausgeplündert, um ihr Vermögen, ihre Sparpfennige beraubt und theilweise an den Bettelstab gebracht werden mussten? – Nein, und hundertmal nein! Zum Teufel mit solchen Verschönerungen!!
[1] Eine Preußische Rute waren 3,766 m; eine Quadratrute wären demnach rd. 14 m²
Literatur- und Quellennachweis:
Bogon, Winfried
(digitaler Reprint November 2005, 2008 - Verlag für digitale Publikationen)
Handbuch der Deutschen Aktiengesellschaften, 1914/15 + 1925 + 1932 + 1943
Christoffel, Udo (Hrsg.)
Kunstamt Wilmersdorf 1987
Das alte Berlin und die Bezirke der Verwaltung
Glagau, Otto;
Verlag von Paul Frohberg, Leipzig 1876;
Antiquariat Wilhelm Hohmann, Stuttgart 1996 (Reprint);
Der Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin
Gutowski, Vladimir (verantwortlich für den Inhalt);
Auktionshaus Gutowski GmbH (Hrsg. + Verlag)
verschiedene Auktionskataloge,
SUPPES 2008/09 ff. Bewertungskataloge für Historische Wertpapiere, Deutschland vor / nach1945
SUPPES Special, Übersicht aller im Reichsbank-Schatz vorhandenen Papiere
Lais, Sylvia / Hans-Jürgen Mende (Hrsg.)
Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung GmbH / Luisenstädtischer Bildungsverein
Lexikon Berliner Straßennamen
Peus, Dr. Busso (Hrsg.)
Der Reichsbankschatz, Auktionskataloge Nr. 1 bis 5 aus 2003, 2004/2005, 2006, 2008
Zehrfeld, Axel G.;
Berliner Terraingesellschaften
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