Lichterfelder Bau-Verein Actien-Gesellschaft

 

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Die Gesellschaft

 

Das Unternehmen wurde im Jahre 1872 gegründet.

Bei der Gründung übernahm die Gesellschaft ein am Bahnhof Groß-Lichterfelde (heute: S-Bahnhof Lichterfelde-Ost) grenzendes Terrain zwischen der Berlin-Anhalter und der Berlin-Dresdner Bahn mit einer Größe von 1,13 km² für 2,8 Mio. Mark. Die Immobilie erstreckte sich bis zum heutigen Saaleckplatz.   Das Grundstück wurde parzelliert und mit Villen bebaut, von denen die ersten im Jahre

1874  verkauft wurden. In den Folgejahren wurden weitere Bauten errichtet und nach und nach veräußert. Nach Einführung einer neuen Bauordnung durften auf dem Großteil des Geländes nur Häuser im Villenstil gebaut werden. Da aber der Ausbau von Kellern und Mansarden untersagt wurde, fanden die Häuser kaum Käufer. Im westlichen Teil des Geländes fehlte bis

1890   der Straßenbahnanschluss, der den Bau von Mehrfamilienhäusern interessant gemacht hätte. Ein Antrag an die Generalversammlung auf Auflösung der Gesellschaft kam nicht durch.

1882   bis 1885 wurden wieder Häuser gebaut und bei deren Verkauf auch eigene Aktien in Zahlung genommen. Im Februar

1889   wurde auf dem Gelände ein riesiges Tonvorkommen entdeckt, so dass eine Ringofen-Ziegelei erbaut und betrieben werden konnte. Diese wurde im Jahre

1897   weiter veräußert.

1892   änderte die Gesellschaft ihren Namen in Groß-Lichterfelder Bauverein, Dampfziegelei und Sägewerk Aktiengesellschaft. Bis

1906    waren alle bis dahin erstellten Gebäude verkauft, es blieben noch 47 ha. Grundbesitz übrig. Das Ende fand die Gesellschaft

1923     im Zuge der Inflation; sie wurde zahlungsunfähig und die Hauptversammlung beschloss die Liquidation, die dann auch recht erfolgreich verlief. Die Liquidationsquote lag bei über 200 %.

 

Die Gesellschaft war mit der Terrain-Gesellschaft Gross-Lichterfelde (Link) der zweite Projektentwickler in Lichterfelde.

 

 

Zur Geschichte

 

Am 24.11.1865 kaufte ein noch recht unbekannter Hamburger Kaufmann, Herr Johann Anton Wilhelm Carste (Link) die Rittergüter Lichterfelde und Giesensdorf. Heute würde man ihn als Developer (Projektentwickler) bezeichnen. Neben der Erschließung und Bebauung von Lichterfelde war Carstenn auch in Wilmersdorf und Schöneberg engagiert (Berlin-Charlottenburger Bauverein Actien-Gesellschaft - Link).

 

Schon bald machte er sich ans Werk und ließ bereits im Sommer 1866 quer durch die Felder die ersten Straßen anlegen. Die Mühlenstraße (heute Karwendelstraße) und die Drakestraße. Bei der Anlage der Mühlenstraße waren erhebliche Schwierigkeiten zu überwinden, es mussten große Erdmassen bewegt werden, denn es gab damals noch einen Mühlenberg, auf dem die Lichterfelder Mühle stand. Für diese Arbeiten hatte Carstenn zahlreiche Polen (!) angeheuert, die über Nacht das stille Dorf bevölkerten und beunruhigten. Auf dem Gutsgelände von Giesensdorf wurde zunächst die Bahnhof- und die Wilhelmstraße (heute Königsberger Straße) gebaut, die die Anbindung des zu parzellierenden Landes an die Anhalter Bahn ermöglichen sollten.

 

Durch den Bau des Straßenzuges Drakestraße und Wilhelmstraße (heute Königsberger Straße) schuf Carstenn die Hauptachse für seine Baufelder in den beiden ehemaligen Rittergütern Giesensdorf und Lichterfelde.

 

 

Die erste elektrische Straßenbahn der Welt

 

Die Firma Siemens-Halske eröffnete am 16. Mai 1881 die erste elektrische Straßenbahn der Welt. Sie verband auf einer Länge von 2,45 km die Kadettenanstalt mit dem Bahnhof Gross-Lichterfelde der Anhaltischen Eisenbahn (heute: Lichterfelde Ost) und schließlich im Jahre 1890 auch Lichterfelde West. Damit war eine unverzichtbare Anbindung an das damalige Berlin garantiert; ein wichtiges Argument für die Verlegung der Kadettenanstalt weit vor den Toren Berlins. Die Fahrzeit zwischen der Kadettenanstalt und dem Bahnhof Gross-Lichterfelde betrug lediglich 10 Minuten. Das schafft man heute kaum mit dem Auto.

 

 

Das „Rittergut Giesendorf“ (Lichterfelde Ost)

 

Schon frühzeitig hatte Carstenn mit der damals noch privaten Anhalter Eisenbahn-Gesellschaft Verbindung aufgenommen, um die Einrichtung einer Haltestelle in Lichterfelde (heute Bahnhof Lichterfelde-Ost) durchzusetzen. Nur unter vielen Zugeständnissen, so eine Einnahmegarantie von 600 Thalern, Errichtung des Bahnhofs auf eigene Kosten und die Pflasterung der Umgebung war die Bahngesellschaft bereit, eine Station auf dem Acker zu unterhalten. Das 1868 fertiggestellte Stationsgebäude überraschte die Besucher durch die Höhe der mittleren Wartehalle. Carstenn hatte vorsichtshalber das Gebäude so bauen lassen, dass es im Falle eines Scheiterns seiner Planung ohne große Umbauten in eine geräumige Scheune umgewandelt werden konnte. Außerdem ließ er direkt nebenan noch das Pavillon-Restaurant bauen, ein damals äußerst illustres Etablissement für die vermögenden Berliner, die ja hier nicht nur ihre Sonntage im „Jrünen“ verbringen, sondern nach Möglichkeit auch wohnen sollten. Die Anbindung an Berlin mittels einer Bahnstrecke war somit unverzichtbar – wie auch bei vielen anderen Bauprojekten außerhalb des damaligen Berlins.

 

Auch andere Anstrengungen unternahm Carstenn, um Siedlungswillige in seine Kolonie zu ziehen. Er verschenkte Grund und Boden unter der Bedingung, dass sich die Begünstigten selbst in Lichterfelde ansiedelten. Er baute selbstverständlich auch die Häuser für die späteren Bewohner und gewährte bei Bedarf Kredite. 1870 hatte er bereits 125 von insgesamt 267 Bauparzellen zu einem Preis von 5,30 Mark je Quadratmeter verkauft.

 

Allerdings mussten die neuen Bewohner noch einige Unannehmlichkeiten ertragen. Das Wasser musste mit Hilfe von eigenen Pumpen gewonnen werden, Abwässer flossen in Sickergruben. Für die Beleuchtung hatte Carsten eine eigene Gasanstalt bauen lassen, so dass die Häuser mit Gas und Licht versorgt werden konnten. Die Gaslaternen auf den Straßen brannten allerdings nur bis 23:00 Uhr und im Sommer war die Beleuchtung „Mond und Sternen überlassen“. Auch die Beschaffung von Lebensmitteln warf Probleme auf, Fleisch musste in Steglitz besorgt werden, Brot und Semmeln brachte eine Botenfrau aus Teltow – aber nur bei gutem Wetter. Jede Woche einmal kam der Barbier in den Ort, rasierte und frisierte, zog Zähne und setzte Blutegel oder Schröpfköpfe. Auch waren damals – wie heute – Einbrüche ein großes Problem für die Bürger. So gibt es aus dem Jahre 1877 einen Antrag auf Vermehrung der Nachtwachen um acht Mann, die „unter gehöriger Controlle stehen müssen“, weil in Lichterfelde eine „unerhörte Unsicherheit“ herrsche. Auch heute werden teilweise private Wachschutzunternehmen engagiert, um die Sicherheit der Bewohner zu verbessern.

 

Das Stadtbild der Carstenn-Figur im Osten (Wilmersdorf) und Westen (Friedenau) der heutigen Bundesallee wiederholt sich in Lichterfelde-Ost rund um den heutigen Oberhofer Platz.

 

 

Das „Rittergut Lichterfelde“ (Lichterfelde West)

 

Die Villenkolonie Lichterfelde war am Ende der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts in den Salons der Berliner Gesellschaft ein allgemein bekannter und vieldiskutierter Gesprächsstoff. Viele belächelten Carstenns Vorhaben, andere waren der Überzeugung, dass Lichterfelde sich zu einem vornehmen Villenvorort entwickeln werde. Zu denen, die sich durch persönliche Besuche über den Fortgang des Unternehmens an Ort und Stelle unterrichten ließen, gehörte der damalige Kriegsminister von Roon. 1869 äußerte er gegenüber Carstenn, dass es ihm wünschenswert erscheine, das „Berliner Cadettenhaus“ nach Lichterfelde zu verlegen. Natürlich nahm Carstenn den Gedanken sofort auf, ergaben sich doch hier erhebliche Potenziale für die Ansiedlung von vermögenden Militärs. Er konnte damals noch nicht ahnen, dass dieser Plan ihn zwar zu glänzenden Triumphen, aber auch zu bittersten Demütigungen und zum Verlust seines Vermögens führen würde.

 

Die Verlegung der Kadettenanstalt stieß auf erheblichen Widerstand einflussreicher Mitglieder des Kriegsministeriums. Wer wollte schon Offiziere und Ausbilder in die Einöde des platten Landes schicken, wo man die Annehmlichkeiten der Großstadt entbehren musste. Zudem war die Fahrt nach Berlin zu den Vergnügungsstätten und nicht zuletzt zum Stadtschloss, wo die Kadetten Pagendienste leisten mussten, beschwerlich und zeitraubend.

 

Um alle vorgebrachten Bedenken aus dem Weg zu räumen, kam Carstenn der Verwaltung mit weitgehenden Zugeständnissen entgegen. Nicht nur die Schenkung des riesigen Baugeländes gehörten zu seinem Angebot, sondern auch umfangreiche Dienstleistungen und weitere Verpflichtungen auf seine eigenen Kosten: Bau eines Wasserwerkes und einer Gasanstalt, Pflasterung der Umgebung der Kadettenanstalt, Herstellung günstiger und billiger Verkehrsanbindungen nach Berlin (s.o.), Bereitstellung von Kapital zum Bau von Dienstwohnungen für Offiziere, Ausbilder und Lehrer außerhalb des Kasernengeländes und vieles andere mehr. Natürlich hätte er die ganzen Erschließungsmaßnahmen auch für die Privaterwerber seiner Grundstücke durchführen müssen, sicherlich aber nicht in dem letztlich notwendigen Umfang.

 

Am 01.09.1873 wurde der Grundstein für die Kadettenanstalt in Gegenwart der kaiserlichen Familie gelegt. Bei dieser Gelegenheit wurde Carstenn vom Kaiser in den Adelsstand erhoben; er nannte sich fortan von Carstenn-Lichterfelde. Der Bau der Kadettenanstalt zog sich dann bis 1878 hin.

 

Letztlich brachte der Bau aber für von Carstenn-Lichterfelde nur Verdruss und Verluste ein; er starb am 19.12.1896 für seine Verhältnisse mittellos. Er bekam aber immerhin eine Jahresrente von über 43.000 Mark. Für damalige Verhältnisse sehr, sehr viel Geld; sein Vermögen von mehreren Millionen hat er aber verloren.

 

 

Die beiden Landgemeinden Giesensdorf und Lichterfelde wurden mit der Genehmigung des Kaisers im Jahre 1878 zum Gemeindebezirk „Groß-Lichterfelde“ vereinigt; Die Gemeinde und der Name Giesensdorf verschwanden. An Giesensdorf wird heute nur noch durch die Giesendorfer Straße  und die Dorfkirche Giesensdorf erinnert. In der ehemaligen Kadettenanstalt ist heute das Bundesarchiv untergebracht.

 

 

Quellen:

Bogon, Winfried

(digitaler Reprint November 2005, 2008 - Verlag für digitale Publikationen)

Handbuch der Deutschen Aktiengesellschaften, 1914/15 + 1925 + 1932 + 1943

 

Heimatverein Steglitz e.V., Drakestraße 64a, 12205 Berlin

 

Klebes, Günther

Europäische Bibliothek – Zaltbommel / Niederlande MCMLXXXIV

Die Straßenbahnen Berlins in alten Ansichten, Hundert Jahre elektrische Straßenbahnen

 

Peus, Dr. Busso (Hrsg.)

Der Reichsbankschatz, Auktionskataloge Nr. 1 bis 5 aus 2003, 2004/2005, 2006, 2008

 

Reinhold, Erika (Erzählung), Reinhard Ilgner (Fotos);

Buchhandlung Bodenbender, Inh. Reinhard Ilgner, Berlin, 2002;

Lichterfelde vom Dorf zum Vorort von Gross-Berlin

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Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen (Hrsg.);

Ernst & Sohn, Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH, Berlin, 1995

Stadt Haus Wohnung - Wohnungsbau der 90er Jahre in Berlin

 

Zehrfeld, Axel G.;

Berliner Terraingesellschaften